Drucken
Zugriffe: 4379

Reise ins Gestern - Vom Reihenhaus zum Wohnsilo

 

TANNENBUSCH. Vor genau 80 Jahren zogen die ersten Siedler nach Tannenbusch. Dort, wo einst die Husaren bis zum Ersten Weltkrieg
ihren Übungsplatz hatten, entstanden rund um den heutigen Paulusplatz kleine Eigenheime für arbeitslose Handwerksfamilien.
Es war ein Projekt der besonderen Art, denn wer dort wohnen wollte, musste selbst mit Hand anlegen.

       

                   Einst Armensiedlung, heute schmuckes Wohnviertel: Straßenzug in
                   Alt-Tannenbusch. Foto: VOLKER LANNERT

Nach den Richtlinien der damaligen Reichsregierung entstand "im Wege der Selbst- und Nachbarschaftshilfe eine vorstädtische
Kleinsiedlung", wie man in alten Dokumenten der Siedlergemeinschaft Tannenbusch und Auerberg nachlesen kann.

Das Interesse war groß, allerdings kamen zunächst nur 20 Familien zum Zuge. Im Frühjahr 1933 wurden die ersten 20 Häuser
nach nur sechsmonatiger Bauzeit eingeweiht. Damit hatte die Stadt Bonn damals armen Familien die Möglichkeit geschaffen,
nicht nur ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben, sondern sich auch selbst versorgen zu können. Denn die Grundstücke
waren großzügig bemessen, so dass die Bewohner zum Eigenverbrauch Obst und Gemüse anbauen und Kleintiere halten
konnten. Dazu waren sie sogar vertraglich verpflichtet worden.

 

Alten Zeitungsberichten zufolge gab es allerdings anfangs Proteste gegen die Bebauung. Eine Firma, die dort bereits ansässig
war, warnte "vor der Gefahr von Dieben", eine andere sorgte sich um die Zufahrt zu ihrem Gelände. Doch die Siedler, angeführt
von Jakob Hengstler, ließen sich nicht beirren und bauten fleißig weiter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs der neue Bonner Stadtteil in rasantem Tempo, ausgebombte Bonner, Vertriebene und vor
allem kinderreiche Familien fanden dort nach und nach ihr neues Zuhause. Wohnraum war knapp. Viele Häuser waren durch
Fliegerbomben zerstört und lagen in Schutt und Asche. Es entstand die sogenannte Vogelsiedlung, deren Mittelpunkt die Paulus-
kirche bildet. Sie war der erste neue Kirchenbau in Bonn nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde vor genau 60 Jahren, also 1953,
ihrer Bestimmung zugeführt.

Aus den einstigen schlichten Einfamilienhäuschen sind heute längst schmucke Eigenheime geworden - viele sind inzwischen mit
aufwendigem Klinker verkleidet und durch Anbauten erweitert worden. Und in den Gärten baut kaum noch jemand Kartoffeln und
Gemüse an.

 

Zum alten Tannenbusch, wie man heute sagt, kam ab Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre der neue Tannenbusch dazu.
Unsichtbare Grenze ist die Schlesienstraße. Doch bevor der Stadtteil nach den Plänen des Büros Guther und Stracke samt der
damals in Bonn einmaligen, über die Stadtgrenze hinaus beachteten, aber inzwischen stillgelegten Müllabsauganlage hochge-
zogen wurde, hatten nach 1945 die Amerikaner zwischen Alt-Tannenbusch und dem neuen Teil die sogenannte HICOG-Siedlung
für die Mitarbeiter und Angehörigen der dort stationierten Truppen und Oberkommandos High Commissioner of Germany
(HICOG) gebaut.

Die Siedlung gleich hinter der Tannenbuscher Düne, eine Binnendüne des Rheins, verfügte über eine eigene Infrastruktur, die
auch Schulen und Kindergärten umfasste. Das Hochhaus "Im Tannenbusch 3" war übrigens das erste Hochhaus in Bonn. Die
Siedlung umfasst über 400 Wohneinheiten, steht unter Denkmalschutz und gehört heute der Bundesanstalt für Immobilien-
aufgaben (BImA).

Neu-Tannenbusch entstand aufgrund des akuten Wohnungsmangels in den 1970er Jahren. Für die Versorgung der Anwohner
wurde in der Nähe ein Einkaufszentrum geschaffen. Bei der Wahl der meisten Straßennamen orientierte man sich an den
ehemals deutschen Ostgebieten und der damaligen DDR. Sehr gut ist der Stadtteil mit Schulen ausgestattet. Im Norden liegt
das Naherholungsgebiet Grünzug Nord, der mit seinen Spielplätzen, Freiflächen, einem See und einer Freilichtbühne mannig-
faltige Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung bietet.

Vieles über die Entstehung eines der jüngsten Stadtteile Bonns ist in alten Dokumenten nachzulesen, die Bodo Buhse bei sich
zu Hause an der Ostpreußenstraße aufbewahrt. Buhse leitete viele Jahre lang den Ortsausschuss Tannenbusch. Weil er als
SPD-Ratsherr nicht länger auf mehreren Hochzeiten tanzen wollte, gab er das Amt des OAS-Vorsitzes nach mehrmaliger
Verlängerung 2011 endgültig ab. Ein Nachfolger fand sich nicht, das Gremium löste sich auf. Eine seit langem geplante Chronik
konnte nicht vollendet werden. "Das ist schade", findet Buhse. Denn die Geschichte des 1955 gegründeten Ortsausschusses ist
eng verwoben mit der Entwicklung des alten und neuen Tannenbuschs, wo Buhse mit seiner Frau schon seit 1985 lebt.

Sein Haus in der Reihenhaussiedlung rund um die Ostpreußenstraße ist in den 70er Jahren entstanden, und mit ihr wuchsen
auch die bis heute von vielen als Bausünde empfundenen Hochhäuser. Das höchste mit 13 Stockwerken entstand an der Posener
Straßen und diente Studenten als Unterkunft. Es wird zurzeit abgerissen und soll wieder als Studentenheim neu aufgebaut werden.
"Es wird aber nur noch fünf Stockwerke haben", sagt Buhse. Der 69-Jährige hofft, dass es mit dem Erneuerungsprogramm "Soziale
Stadt" für Tannenbusch jetzt zügig weitergeht.

Ziel des Programms ist es, die Wohn- und Lebensbedingungen im von vielfältigen sozialen Problemen vieler Bewohner geprägten
Viertel zu verbessern. "Das wird wohl schwieriger, weil der Bund die Gelder gekürzt hat", befürchtet Buhse. Wichtig sei jetzt vor allem,
dass die Wohnungsgesellschaften in ein Boot geholt werden könnten, um das Programm weiter umzusetzen. "Da muss natürlich
viel Geld angefasst werden."